Der Rest (Postpunk, Chanson/ Hamburg)

 

Der Rest: Das ist die Band von Phil Taraz, einem Musiker, Filmemacher und Produzenten, einem weithin
kreativen Kopf, einem urbanen Menschen mit weiten Gedanken. Mit einem Gespür für Stimmungen und
Schwingungen. Mit einem künstlerischen Antrieb, von dem er sich leiten lässt. Entwicklungen entstehen
intuitiv, niemals strategisch. Veränderungen sind die Folge seines Bedürfnisses, nicht stehen zu bleiben.
Und Der Rest verändert sich stetig, bleibt zugleich immer Der Rest. Bleibt Phil Taraz, auch wenn Der Rest
stets eine feste Band ist. Die sich jedoch ebenso verändern kann wie der Blickwinkel, aus der man diese
Musik und ihre Texte betrachtet. Von bittersüß bis nachtschwarz, von sehnsuchtsvoll bis tief ergründend.
Der Rest ist Der Rest. „Damit machen wir es uns nicht einfach“, sagt Phil, „denn schon beim Debüt hatten
manche gewisse Schwierigkeiten, uns einzuordnen.“ Aber ist es nicht das, was Kunst leisten sollte: uns
herausfordern? Aufwühlen und anregen, besänftigen und auch einmal anstrengen? Denn ja: Manche
wahrhaftigen Gedanken sind anstrengend, müssen es sein. Und der Rest ist Wahrhaftigkeit pur. Ohne
Schminke oder Filter, sondern geboren aus der unbedingten Leidenschaft, Ungehörtes zu erzeugen.
„Es gibt einen Satz von David Lynch, der zu meinem künstlerischen Credo wurde“, sagt Phil, wobei es wohl
kein Zufall ist, dass ausgerechnet Lynch diesen Satz sagte, könnte man ihn doch ausgezeichnet als visuelle
Entsprechung zu den Gedankenwelten von Der Rest verstehen. Der Satz lautet: Du kreierst et- was, und
das sagt dir dann, was es als nächstes werden möchte. „Aus diesem Prozess entstehen die Songs“, so Phil,
„denn um den Ausdruck geht es. Man darf sich niemals wiederholen, das ist der Tod der Kunst. Das einzige,
was ich zu steuern versuche, ist, Dinge auszumerzen, die mir nicht gefallen. Die Fra- ge, die ich mir beim
Musikmachen immer stelle: Wohin soll die Reise als nächstes gehen? Alles andere entscheidet sich auf
einer abstrakten Ebene, es geschieht einfach.“
Es sind berührende, in Momenten konfrontierende Songs aus dem Puls der Stadt, aus den Zweifeln des
Denkenden, aus den Hoffnungen eines Menschen, dem das kleinlaute Aufgeben nicht liegt. Lieber Aufstehen
als Liegenbleiben, besser Sagen als Schweigen, davon berichten die Texte von Phil und seiner
Schwester Luisa. ‚Der Rest’ der Gesellschaft quasi – beobachtend, sezierend, entlarvend. Auch hier bewegen
sich die Gedanken stets weiter, verändern sich. Während Der Rest auf ihrem Debüt „der Tisch ist
gedeckt“ noch durch die Innenschau nach außen blickten, eigene Dramen und Sorgen zur Geschichte
machten, verhandelt „Willkommen im Café Elend“ einen größeren Ausschnitt, erzählt Stories aus der Umwelt
und Erfahrenswelt, wird damit klarer und allgemeingültiger. „Das ist ein Prozess, der bei mir voran
schreitet“, sagt Phil, „und er geht immer weiter. Meine Gedanken werden globaler, der Rahmen wächst.“
Und das auch in der Musik. Der Rest bewegt sich weiter, verändert sich im kontinuierlichen Strom. Wer die
Band über die Jahre live beobachtet hat auf ihren emsigen Touren mit eingangs genannten Bands, konnte
die Transformation miterleben: Vom introspektiven, dicht geknüpften Sound mit zwei akustischen Gitarren,
Kontrabass und leisem Schlagzeug hin zum voll verstärkten Powertrio der aktuellen Form, schwer groovend,
frontal und doch stets behutsam auf den Punkt gebracht.
„Egal, was ich tue, ich jage immer einem Ideal hinterher, das ich zu erreichen versuche – etwas, das in
meinem Kopf ist und dass ich tatsächlich umsetzen und finden will“, erklärt Phil. „Ob mit meinen Videos, den
Texten oder in der Musik: das Ideal verändert, bewegt sich, also muss auch ich mich bewegen.“ Aus diesem
Grund ist er für das zweite Album bei ganz neuen Musikern angekommen. Es ist niemand mehr dabei von
der Besetzung des Debüts, denn für die neue Sprache der Texte musste es auch eine neue musikalische
Sprache geben. Es war die logische Konsequenz aus seiner Suche nach dem richtigen Fun- dament.
In dem französisch-algerischen Bassisten Laurent Vianès und dem von der süddeutschen Alm stammenden
Drummer Anton Stöger fand er die geeigneten Mitstreiter. „Ich habe noch nie mit zwei Musikern gearbeitet,
die menschlich und in ihrer musikalischen Sozialisation so anders sind.“ Doch gerade aus dieser
Spannung entsteht eine kraftvolle Dynamik, die den Songs ihre Intensität verleiht. „Es muss alles in Bewegung
bleiben, immer. Und doch sollte die Band, ihr Timbre stets erkennbar bleiben. Sonst sollte ich den
Namen ändern.“
Das ist gelungen. Der Rest ist sich treu geblieben, trotz all der Neudefinitionen auf „Willkommen im Café
Elend.“ Zu denen auch eine überraschende Abgeklärtheit gehört, eine kunstvoll abgehangene Ausgeruhtheit,
ohne dabei der eigenen Gefälligkeit anheim zu fallen. Gerade dieser Widerspruch ist es, der diese
Band so spannend macht: eine innere Dringlichkeit in der Verkleidung vermeintlicher Heimeligkeit, die
Widerhaken, Kante und große Tiefe erzeugt. Eine Tiefe, für die Phil ganz allein verantwortlich ist, denn wie
schon beim Debüt hat er das gesamte Album selber aufgenommen und produziert. Damit es seine Vision
ist, seinen Geist trägt und zu seiner Handschrift wird. Diese Vision, die ihn treibt, lässt sich einfach umreißen:
„Perfekt sind Dinge dann für mich, wenn sie eine gesunde Mischung aus handwerklicher Komposition,
intuitiver Lässigkeit und größtmöglicher Eleganz in sich tragen.“ Und wenn sie, wie bei Der Rest,
obendrein auch noch inhaltlich stark berühren und das rezeptorische Kopfkino anschmeißen, ist mehr
erreicht, als man von einem Album eigentlich erwarten kann.
Sascha Krüger 2012